Komposition wie Improvisation sind so alt wie die Musik selbst. Es kann nie eine Musikkultur gegeben haben, in der nicht beides praktiziert wurde und es gibt keine Musikkultur heute, in der nicht beides praktiziert wird. Die Gewichtung und das Verhältnis zueinander waren und sind aber immer wieder unterschiedlich und vielen Veränderungen unterworfen. Sobald gültige und immer gültiger werdende, komplexe Schriften Notenschriften entwickelt werden, bleiben der Nachwelt lediglich die Kompositionen erhalten, die Improvisationen hingegen nicht. Von der Möglichkeit, Musik nicht nur im Gedächtnis zu halten, sondern auch aufschreiben und damit über Zeit und Raum transportieren zu können, war man so fasziniert, dass für etwa drei Jahrhunderte europäische Komponisten wie Musiker sich mehr auf das Komponieren, also Notieren und Fixieren, als auf das freie Improvisieren konzentriert haben. Dennoch ist der Fluss der Improvisation auch in Europa nie ganz versiegt. Heute ist das Verhältnis vor allem dadurch geprägt, dass sich die nicht verschriftlichte Musikkultur der Analyse per se noch mehr entzieht, als die komponierten Musikformen und das ist im im kommerziellen Wettbewerb ein Nachteil. Die improvisierte Musik existiert ausschließlich im Moment des Konzerts, der Performance, des Gigs und eventuell noch auf CDs bzw. DVDs. Wer nicht dort war, weiß nicht, worum es gegangen ist das gilt auch für Veranstalter, Journalisten und Theoretiker.
Im klassischen Sinn weder verschriftlicht, noch zwingend improvisiert sprengt die elektronische Musik diese Unterscheidung noch mal in eine komplett andere Richtung auf.

Vollständiger Artikel aus der Zeitschrift Positionen/84 als PDF
konzept_philosophie_und_lebenslust.pdf